Central and East European
Society for Phenomenology

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220538

Der Wohlfahrtsstaat zwischen Evolution und Rationalität

Niklas Luhmann

pp. 104-116

Abstract

Nach Erscheinungsform und Terminologie ist der moderne Wohlfahrtsstaat ein Kind dieses Jahrhunderts. Er ist aus dem liberalen Verfassungsstaat, wie er um 1800 konzipiert wurde, hervorgegangen und vor allem durch eine laufende Erweiterung politischer Zielsetzungen gekennzeichnet. Der Wohlfahrtsstaat konnte auf Ziele hin entworfen und fast ohne Theorie in Gang gebracht werden, solange diese Ziele Verbesserung von Sachlagen, Vermehrung von Sicherheiten, Steigerung von Versorgungsleistungen mit hinreichend breit gewähltem Empfängerkreis waren. Diese Aufbauphase ist abgeschlossen. Die Amelioristik der Ziele dient immer noch der Bekundung guter politischer Absichten. Sie zeigt gleichzeitig aber Züge der Überspannung und Ermattung. Verheißungen können nicht erfüllt oder müssen gar abgeschwächt werden. Wo Politiker Verbesserungen größeren Stils ankündigen, kann man fast schon vermuten, daß sie es nicht ernst meinen. Jedenfalls fällt es schwer, ihnen daraufhin schon Vertrauen zu schenken. Aber die Sprache der Politik hat sich noch nicht umgestellt. Sie pendelt zwischen Zielen und Mitteln, zwischen an sich Wünschenswertem auf der einen und dem Fehlen der Mittel auf der anderen Seite. Es fehlt ihr ein theoretisches Konzept und vor allem ein Kriterium für die Frage, welche Erwartungen eigentlich an Politik gerichtet werden können und welche nicht.

Publication details

Published in:

Luhmann Niklas (1987) Soziologische Aufklärung 4: Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Pages: 104-116

DOI: 10.1007/978-3-663-01341-9_6

Full citation:

Luhmann Niklas (1987) Der Wohlfahrtsstaat zwischen Evolution und Rationalität, In: Soziologische Aufklärung 4, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 104–116.