Central and East European
Society for Phenomenology

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219589

Die Weisung Gottes als Form der Freiheit

Niklas Luhmann

pp. 75-91

Abstract

Um eine Vorverständigung über das Thema zu erreichen, mag es sinnvoll sein, mit einem Gleichnis zu beginnen.* (1) Ein Gärtner sah, daß ein Mann in einen seiner Bäume gestiegen war und von den Früchten aß. Er machte ihm Vorwürfe. Der Mann aber erklärte: Ohne den Willen Gottes hätte ich weder Appetit auf Früchte noch wäre ich auf diesen Baum gestiegen. Es geschieht alles mit Gottes Wille, und Du hast keinen Anlaß, Gott Vorwürfe zu machen. Daraufhin nahm der Gärtner den "Stock Gottes' und drosch auf den Mann ein, bis dieser sich bereitfand, von seiner Theologie zu lassen und zuzugeben, daß es seine freie Entscheidung gewesen sei. Wir ergänzen und interpretieren: An die Stelle der gemeinsamen Berufung auf einen Willen setzen die Beteiligten, nachdem sie damit üble Erfahrungen gemacht haben, eine Unterscheidung, nämlich den Code von Recht und Unrecht, der es ermöglicht, das Verhalten differentiell (und im Laufe von Zivilisation dann "maßvoll" = gerecht) zu konditionieren. So entsteht Freiheit als Möglichkeit der Option auf eine Seite der Unterscheidung. Auch das geschieht dann offenbar mit Wissen und Willen Gottes. Das kann man akzeptieren. Die Frage ist aber, wenn es zur Reflexion dieses Akzeptierens, das heißt zur Theologie kommt, wie man dies verstehen, interpretieren, begreifen, theoretisch aufbereiten kann.

Publication details

Published in:

Luhmann Niklas (2005) Soziologische Aufklärung 5: konstruktivistische Perspektiven. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Pages: 75-91

DOI: 10.1007/978-3-663-11449-9_4

Full citation:

Luhmann Niklas (2005) Die Weisung Gottes als Form der Freiheit, In: Soziologische Aufklärung 5, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 75–91.