Central and East European
Society for Phenomenology

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214208

Eidos und Eidolon

Ernst Cassirer

pp. 1-27

Abstract

Wenn man die Größe eines Denkers nach der Weite der Gegensätze messen kann, die er in seinem Denken umspannt und zur Einheit zwingt, so gehört Platon schon aus diesem Grunde zu den schlechthin einzigartigen Erscheinungen der Geistesgeschichte. Alle Probleme, mit denen die griechische Philosophie bisher gerungen hatte, haben bei ihm eine ganz neue Spannung und eine ganz andere Intensität gewonnen. Wenn man der Welt Platons das Bild des Kosmos vergleicht, das die vorsokratische Philosophie entworfen hatte, so fühlt man, daß diesem letzteren, in aller Mannigfaltigkeit seiner Gestaltungen, immer noch eine gewisse Simplizität, eine gewisse archaische "Einfalt" anhaftete. Es ist ein höchster Seinsbegriff, in dem jedes dieser Weltbilder zentriert ist und bei dem es sich zuletzt beruhigt. Erst in Platon und im Platonischen Dialog ist das griechische Denken im eigentlichen und tiefsten Sinne dialektisch geworden. Und diese objektive Dialektik der Gedanken geht auf eine subjektive in Platons Geist zurück. Die höchste Kraft der Willensgestaltung vereint sich in diesem Geist mit der Schärfe einer rein "theoretischen" Weltbetrachtung; die mythische Phantasie wirkt sich in ihrer ganzen Fülle aus und zeigt sich in ebendieser Fülle doch zugleich gebunden durch die Forderungen, die der strenge Begriff des Wissens, die die allgemeine Methodik der Erkenntnis stellt.

Publication details

Published in:

Saxl Fritz (1924) Vorträge der Bibliothek Warburg II: Vorträge 1922–1923 I. Teil. Wiesbaden, Vieweg+Teubner.

Pages: 1-27

DOI: 10.1007/978-3-663-15764-9_1

Full citation:

Cassirer Ernst (1924) „Eidos und Eidolon“, In: F. Saxl (Hrsg.), Vorträge der Bibliothek Warburg II, Wiesbaden, Vieweg+Teubner, 1–27.